Gut, dass ich Oropax dabei habe. Mein männlicher Zeltnachbar schnarcht, wie er es angekündigt hat. Leider ist es wieder eine relativ kalte Nacht und ich komme spät auf die Idee, die Kapuze meines Schlafsacks mal so richtig zuzuziehen. Aber ich bin ja noch am Anfang meiner Trekkinglaufbahn und lerne mein Equipment noch kennen.
Am Morgen frühstücken meine „Gastfamilie“ und ich gemeinsam und ich bekomme eine Tasse heißen Kaffee. Richtig gut.
Wir unterhalten uns noch darüber, wie wohl Menschenfleisch schmeckt, wann Kannibalismus Kannibalismus ist und ob Veganer anders als Fleischesser schmecken würden, dann trennen sich uns unsere Wege wieder. Es war richtig schön in Gesellschaft zu frühstücken und mit Gleichgesinnten über Wanderwege, Ausrüstung und Zukunftspläne in dem Bereich zu sprechen.
Ich gehe erneut hinunter nach Stormbruch, um im kleinen Laden mein Wasser aufzufüllen und noch eine Kleinigkeit einzukaufen. Dann heißt es back on track. Erst über Feldwege und dann durch den Wald. Zwischendurch überlege ich, ob ich irgendwo was verloren habe, weil sich mein Rucksack so leicht anfühlt, aber das konnte nicht sein.
Und dann dachte ich, sorry jetzt wird’s kitschig, dass sich das Leben gerade einfach etwas leichter anfühlt. Wandern, essen, trinken, schlafen. That´s it. Die 12 kg auf meinem Rücken, eine Feder. Das Eichhörnchen-Gedankenwirrwar, das am ersten Tag noch durch meinen Kopf hüpfte, weg.
Ich gehe weiter und erreiche nach 2 Stunden den Diemelsee. Der Weg führt direkt am See entlang. Ich pflücke jede Menge Himbeeren und genieße den Blick aufs Wasser durch die wilde Vegetation hindurch. 30 Meter vor mir springt auf einmal ein nackter älterer Herr aus dem Gebüsch. Öhm. Er sieht mich, bedeckt sein Geschlecht, dreht sich um und wackelt noch ungefähr 20 Meter weiter, mit nacktem Hintern vor mir her, bis er links im Gebüsch, Richtung See verschwindet. Ok?! Grinsend gehe ich weiter.
Am touristischen Teil des Diemelsees erblicke ich das Schild „Öffentliche Toiletten“ und freue mich. Die Toiletten sind geräumig und mit mehreren Waschbecken versehen. Mega, hier erstmal Katzenwäsche betrieben und Handy laden. Die kleinen Dinge des Lebens eben.
Alles scheint gut, bis ich mich auf einmal etwas komisch fühle. Mir ist übel. Woher kommt das denn jetzt? Von den vielen Himbeeren oder dem halben Liter kaltem „Toilettenwasser“, das ich gerade heruntergekippt habe? Nützt ja nichts, erstmal weiter gehen und zwei Hanuta essen. Vielleicht nur Hunger? Und gerade jetzt fängt der schöne Part des Tages an, was die Strecke betrifft. Schmale Pfade schlängeln sich den Berg hinauf und unter mit der Diemelsee. Genießen kann ich das in dem Moment nicht wirklich. Durchhalten und weiterlaufen, denk’ ich nur. Es wird immer steiler und anstrengender und ich immer schlechter gelaunt. Ich hoffe niemanden zu treffen, sollte es zum äußersten kommen. Nach ein paar Kilometern wendet sich das Blatt zum Glück. Keine Ahnung, ob durch die Ablenkung der Anstrengung oder ob sich mein Körper von allein wieder eingekriegt hat, das flaue Gefühl lässt nach. Das Wasser, was ich mir in der Toilette abgefüllt habe, werde ich trotzdem nicht trinken, sicher ist sicher.
Ich sehe und höre niemanden und gehe in weiter Flur allein über Wiesen und an Waldrändern entlang. Stolpere leider fast zum zweiten Mal in 2 Tagen über einen toten Maulwurf.
Über mir wird der Himmel stetig grauer. Regen ist eigentlich nicht angesagt. Ich freue mich in Adorf anzukommen und schlendere durch den Edeka, um mein Abendessen noch etwas zu bereichern. Schokopudding und Baguettebrötchen gibt es zu meinem Tütenessen. Zum Pfandflaschentauschen darf ich dann nochmal 250 m den Berg hinauf zum Getränkemarkt laufen.
Kurz hinter Adorf finde ich ein schön gelegenes Tretbecken und laufe zweimal hindurch. Puh, ist das kalt, aber meinen Beinen tut es wirklich gut. Der Wolkenberg über mir wächst.
Noch ein kleiner Podcast-Tipp am Rande: Weltwach mega sympathischer Host mit immer spannenden Geschichten und Gästen.
Die letzte Plattform meiner heutigen Tour heißt passend „Wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen“. Sie liegt wirklich mehr als abseits von allem, hinter einer Tannenfront im Wald. Ein Glück, denn in dem Moment meiner Ankunft legt der Regen los. In Windeseile baue ich mein Zelt auf und muss wohl oder übel mein Abendessen auf der Isomatte kauernd im Zelt verspeisen.
Irgendwann lässt der Regen nach, doch durch die Tropfen, die sich ihren Weg über das dichte Blattwerk nach untern suchen, hört es sich immer noch tosend an.
In dieser Nacht ist mir zum ersten Mal richtig warm in meinem Schlafsack. Gut geschlafen habe ich trotzdem nicht. Ich war lang am überlegen, ob ich das folgende schreiben soll, aber das hier soll ja, so sehe ich es, für mich, nichts verschönen oder glorifizieren. Irgendwie ärgere mich über meine eigenen Gedanken und mein Empfinden, aber so war es nun mal.
Das Abenteuer Trekking ist für mich eine mega Erfahrung. Punkt.
Doch: die von unserer Gesellschaft und auch von Freunden geschürten Ängste sind in der folgenden Situation dann doch nicht ganz an mir abgeprallt bzw. kamen in mein Bewusstsein. Wie oft konnte ich mir vorher anhören: „Hast du keine Angst ganz allein, wenn dann da wer kommt? So allein im Zelt.“ Meine standardmäßige Antwort war: „Nachts in jeder größeren Stadt oder auf einem Dorffest solltest du dir mehr Gedanken machen, als allein im Wald.“
Ja, die Wahrscheinlichkeit ist super gering, dass da jemand bei Mistwetter die 2 km über Feldwege läuft oder fährt und dann noch nicht mal weiß, ob da jetzt eine Frau oder ein Bodybuilder im Zelt liegt.
Trotzdem hat mein Kopf sich Sachen zusammengesponnen. Ich bin jemand, der sofort von Sachen träumt, die mich belasten. Also höre ich im Traum Autoreifen und Stimmen und wache davon auf, was das Kopfkino nicht besser macht.
Natürlich sind jetzt nicht nur die Anderen durch ihre Kommentare schuld, aber gutgemeinter Rat: Lasst in egal welcher Situation die blöde Bemerkung: „Hast du gar keine Angst dabei?“, einfach mal stecken. Denn genau solche Kommentare können dazu führen, dass beim Gegenüber überhaupt erst das Bewusstsein dafür aufkommt, dass man ja vielleicht Angst haben könnte.
Abgesehen davon ist so ein Wald nachts auch verflucht laut. Jede Amsel im Laub hört sich an, wie ein 3 Meter Monster. Dank Googlesuche weiß ich zumindest, dass auf jeden Fall ein Fuchsbellen dabei gewesen ist.
Und morgen beginnt schon der letzte Tag meiner kleinen Reise.
Stormbruch – Wirmighausen: 25,4 km
One Response
Hallo Beate, Vielen Dank dir für deine Worte. Du hast vollkommen Recht – man sollte die Zeit nutzen, die man hat.