Die erste Nacht war bescheiden. Da ich ja nur kurz oberhalb der Stadt Usseln genächtigt habe und rechts von mir eine Molkerei war, sind ständig Trecker und LKW unter mir vorbeigefahren.
Und… ein bekloppter Modedfahrer, der scheinbar sein Gefährt testen wollte. Ich hasse dieses Knattergeräusch. Das ganze ging mindestens eine Viertelstunde. Und ja, ich muss zugeben, so nah an einem Ort, auf dem Präsentierteller zu campen, war mir auch nicht ganz geheuer.
Die Nacht war aber nicht nur deshalb bescheiden. Mir war lange zu kalt, dann musste ich Pippi, dann rutschte das Kopfkissen weg, dann hab ich Blödsinn geträumt. Ich hoffe, die zweite Nacht wird besser.
Wenigstens hat der Abbau entspannt geklappt und in der Zeit konnte auch mein Müsli schonmal einweichen. Haferflocken, Bananenchips, Nüsse und Hafermilchpulver angerührt mit Wasser und getoped mit einem Apfel, serviert in einem Hundeklappfressnapf. Das nenn’ ich dekadent. Ich werde mich jeden Morgen während nächsten der 4 Tage darüber freuen.
Im Rewe fülle ich meine Wasservorräte nochmal auf und entsorge meinen Müll.
Erst geht es über einen Radweg raus aus Usseln und dann ein kurzes Stück an einer Landstraße entlang, bis der Marker bergauf zeigt. Graswege führen am Berg entlang. Satte Wiesen und goldgelbe Felder. Der Blick in die Täler ist weit. Die Sonne knallt mit 28 Grad erbarmungslos von oben. Ein Bussard begleitet mich.
Ein kurzes Waldstück, in dem ein naturbelassener kleiner Pfad sich bergab schlängelt, sorgt für Abwechslung und auch Abkühlung. Dann geht es auf Asphalt weiter. Ein Radfahrer überholt mich. Ich schaue ihm nach und sehe den Straßenverlauf. Er tut mir leid. Ich tue mir leid. Ich kann mindestens 3 Kilometer weit, den von der Sonne flimmernden Weg, hinaufschauen und habe jetzt schon keine Lust mehr.
Nach 400 weiteren Metern meint es der Uplandsteig jedoch gut mit mir. Ein Schild weist nach links Richtung Waldrand. Graswege. Glück gehabt. Die Sonne ballert trotzdem weiter.
Den ersten Tag habe ich komplett ohne Stöpsel im Ohr verbracht. Heute brauche ich dann doch etwas zusätzliche Unterhaltung. Wie praktisch, dass mein Lieblingswanderpodcast Wanderwach & Kaffee eine neue Folge am Start hat, die auch noch vom „NST“, dem Nord Süd Trail handelt. Zu Gast „Soulboy“ (Trailname), der Initiator des längsten Fernwanderwegs Deutschlands. Der NST ist, 3620 km lang, startet am nördlichsten Punkt Deutschlands auf Sylt und endet am südlichsten Punkt, dem Haldenwanger Eck. Zum ersten Mal wurde er 2020 von Soulboy komplett durchwandert. Das ganze Projekt wird ehrenamtlich betrieben und hat mittlerweile eine echte Community rund um den Trail nach sich gezogen.
Im Podcast spricht Soulboy über die Entstehung und Entwicklung des Trails und auch vor welchen Schwierigkeiten er, in Hinblick auf die Zusammenarbeit, vor allem, mit vielen Deutschen Wandervereinen, gestellt wird. Ziemlich coole Sache, wie ich finde.
Währenddessen auf meinem Trail…
Ich komme am Campingplatz von Bömighausen an und hoffe hier mein Wasser nachfüllen zu können. Unterhalb des Campingplatzes befindet sich ein kleiner See. Überall „Schwimmen Verboten“-Schilder, aber das scheint niemanden zu interessieren.
Ein kleiner Pfad führt am See entlang und ich suche nach einer schattigen Stelle, um selbst mal die Füße ins Wasser zu halten, aber da sind schon überall Menschen, also gehe ich weiter. Zwar kein Seezugang, aber ich finde ein schattiges Plätzchen. Nur bin ich jetzt quasi am Campingplatz vorbeigelaufen..hm. Ah, ein Trampelpfad. Ich gehe zwischen den Stellplätzen der Dauercamper entlang, auf der Suche nach einer Art Rezeption. Bevor mir die jedoch über den Weg läuft, stehe ich vor den Sanitäranlagen. Über 2 Liter entwendetes Wasser wird sich wohl keiner beschweren. Ich fühle mich trotzdem ein kleines bisschen kriminell, als ich meine Flaschen volllaufen lasse. Bei der Hitze habe ich, aber auch keine Lust weiter auf dem Platz herumzuirren, der scheinbar nur aus einzelnen Wohnwagenreihen besteht und keinen allgemeinen Bereich hat. Flaschen sind voll. Auf der Wiese die Mittagshitze aussitzen. Buch weiterlesen. Merken, dass das Buch einfach die perfekte Wahl für diese Tour ist. Obwohl ich es eigentlich nur aus Gewichtsgründen auserwählt hatte.
Es war einmal die 10. oder 11. Klasse am König-Wilhelm-Gymnasium in Höxter und jeder Schüler sollte ein Buch für den Englischunterricht lesen und es danach vorstellen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich zu dem Buch gekommen bin, aber es steht noch heute in meinem Bücherregal, obwohl ich es seit damals nicht nochmal gelesen habe.
Warum es perfekt für meinen „Ich will den Kopf-frei-kriegen-Insta-Facebook-Detox-mache-lasst-mich-alle-in-ruhe-ich-will-wandern-Trip“ ist?
Handlung: Mitch Albom ist ein erfolgreicher Sportjournalist und hat seine Collegejahre weit hinter sich gelassen, als er ein Fernsehinterview seines ehemaligen Soziologieprofessors und Mentors Morrie Schwartz sieht. Er erfährt dabei, dass Morrie an der tödlichen Krankheit ALS erkrankt ist. Als er erkennt, dass sein alter Freund nicht mehr lange zu leben hat, beschließt er, ihn zu besuchen. Er reist jeden Dienstag von Detroit nach Newton, bis Schwartz stirbt. Bei jedem Treffen lernt er Schwartz’ einfache Lektionen für ein glückliches Leben, welche er für das Buch dokumentiert. (Quelle: Wikipedia)
Ein Zitat aus dem Buch:
“Well, for one thing, the culture we have does not make people feel good about themselves. We’re teaching the wrong things. And you have to be strong enough to say if the culture doesn’t work, don’t buy it. Create your own. Most people can’t do it.”― Mitch Albom, Tuesdays with Morrie
Es ist einfach nur heiß. Ich laufe nach der Pause berghoch. Nur noch berghoch. Irgendwann weichen Komoot und die Schilder vom Uplandsteig gehörig voneinander ab. Zum ersten Mal. Nach kurzem Zögern verlasse ich mich auf die Schilder. Die werden ja wohl wissen, was sie da Touristen zumuten.
Den Weg, den ich schließlich bis nach Neerdar gehe, gibt es bei Komoot nicht. Egal, ich komme an. Nach Christine Thürmers Vorbild steuere ich auf die kleine Kirche im Ort zu. Sie ist offen, kühl und hat eine Steckdose. Meine Powerbank hat zwar noch 3 von 4 Strichen, aber so eine Gelegenheit sollte man trotzdem nutzen und die Pause kommt auch gut. Es waren heute zwar erst 15 km, aber die fühlen sich an wie 30 km.
Die letzten 2,5 Kilometer sind sich Komoot und die Schilder wieder nicht ganz einig, aber ich komme auf dem zahnfleischlaufend bei Trekkingplattform D2 an. Sie liegt wirklich wunderschön auf einem Hügel oberhalb von Eimelrod, umgeben von einem Miniwäldchen. Nebenan eine Schutzhütte und eine dieser geschwungenen Holzliegen. Die Komposttoilette hat sogar Klopapier.
Ab dem Moment, wo ich die Plane in die Hand nehme, zieht ein Wind auf, der einfach nicht abflachen will. Alter, ist das nervig. Während des Aufbauens höre ich plötzlich ein „Hallo“ hinter mir und erschrecke kurz etwas. Ein älterer Herr, mit großem Pflaster über dem linken Auge und einem Sprachfehler, bei dem ich mich wirklich beim Zuhören konzentrieren muss, kommt vorbei, um nach dem Rechten zu schauen. Wir plaudern noch ein bisschen über dies und das. Der Wind sei hier wohl immer am Wehen, meint er. Na toll. Und Regen soll auch aufziehen.
Mein Zelt macht heute auf jeden Fall einen besser gespannten Eindruck als gestern. Frau lernt ja dazu. Ich hoffe es hält Wind und Regen stand.
Mit dem Wasser muss ich heute etwas haushalten. Durch die hohen Temperaturen habe ich meine 3 Liter fast ausgetrunken. In Eimelrod selbst gibt es keinen Laden, aber eine Gastwirtschaft, da werde ich morgen um Wasser bitten.
Die Liege wäre jetzt richtig geil, liegt aber noch in der prallen Sonne, also ziehe ich mich in die Schutzhütte zurück, in der man sich wenigstens anlehnen kann und vom Wind geschützt ist.
Erste Tierbeobachtung der Tour: ein Reh im Abendlicht 100 m entfernt.
Der Ausblick auf Eimelrod im weichen Licht der Abendsonne ist wunderschön. Die Schatten werden länger und die hügelige Landschaft erscheint wie in Pasteltönen gemalt.
Im Zelt liegen und dem Rascheln der Blätter und dem Zirpen der Grillen lauschen. Klingt romantisch – ist es aber nicht… Der alte, weise Mann sollte Recht behalten. Es beginnt zu regnen, aber nur ein bisschen. Der Wind jedoch ist die Hölle und die Grillen sorgen für einen Tinitus. Sie zierpen einfach in einem durchgehenden Konzert und wenn sie mal für 3 Sekunden Pause machen, habe ich trotzdem ein ganz komisches Piepen auf den Ohren.
Usseln – Eimelrod: 17 km
One Response
Das mit dem zusammenklappbaren Napf ist ja cool!!! Aber das mit den Grillen kann ich voll verstehen. Weiß auch nicht warum das immer genommen wird, um romantische Abendstimmungen zu beschreiben 😂